Eine ganz besondere Art der Gehirnentleerung
Hast du bereits von dem Begriff Morgenseiten gehört? Nein? Das ist schade.
Dann werde ich es dir erklären.
Denn ich finde, eine Gehirnentleerung können wir alle gut gebrauchen, tummeln sich doch unzählige Gedanken — nicht immer förderliche — in unserem Oberstübchen und vernebeln uns die Sicht. Die Sicht auf das Wesentliche, auf die Klarheit, auf das was wichtig ist.
Es geht darum, jeden Morgen nach dem Aufstehen 3 leere Seiten zu füllen — mit all deinen Gedanken, Gefühlen, alles, was gerade aus dir herausfließen mag, was deinen Geist beschäftigt.
Die Idee von diesen Morgenseiten habe ich mir von Julia Cameron abgeschaut und inzwischen zu schätzen gelernt. Auch, wenn ich ehrlich zugeben muss, dass ich es nicht jeden Tag schaffe. Aber es fehlt mir, wenn ich es eine Zeitlang nicht praktiziere.
In ihrem Buch “der Weg des Künstlers” preist die Autorin Julia Cameron diese tägliche Schreibroutine als Aktivierung unserer Kreativität an. Dabei ist es völlig nebensächlich, ob du literarisches Talent besitzt oder Rechtschreibung und Grammatik beherrscht. Das ist gut, nicht wahr? Aus diesem Grund ist es auch unmöglich, deine Morgenseiten falsch zu schreiben. Es gibt nichts, was zu unbedeutend, zu albern oder zu dumm ist. Diese verbalen Morgenspaziergänge sind nicht als Kunst gedacht. Es ist einzig und allein wichtig, deine Hand über das Papier gleiten zu lassen und dich zu “entleeren” — ohne groß nachzudenken.
Denn es geht bei diesem Experiment um etwas völlig anderes. Am Morgen ist alles noch frisch — unsere Gedanken, Zweifel, Träume .….
Wir wissen, dass Träume sich allzu schnell wieder verflüchtigen und nicht mehr greifbar sind. In Luft aufgelöst. Obwohl wir uns unbedingt an sie erinnern möchten — vielleicht, weil wir bei manchen spüren, dass sie in unserem Unterbewusstsein eine Rolle spielen.
Wundere dich nicht, wenn deine Seiten eher negativ als positiv ausfallen, wenn du dich selbst bemitleidest, klein und unbedeutend machst, wenn du dich ärgerst — über dich, deinen Job, den Alltag und über andere Menschen, wenn du dich in einer Sache mehrmals wiederholst und dich danach ärgerst, weil du nicht vom Fleck kommst.
Es hat alles Platz auf diesen Seiten.
Es sind Seiten, die nur dir gehören.
All das Wütende, Weinerliche, Jammernde, all das scheinbar Unbedeutende.
Es steht zwischen dir und deiner Kreativität oder auch dem Wunsch, anders zu sein, anders zu handeln, vielleicht etwas in deinem Leben zu verändern.
Deine Morgenseiten sind die Landkarte deines Inneren. Laut Julia Cameron ist es fast unmöglich, dich Tag für Tag über eine bestimmte Situation in deinem Leben nur auf dem Papier zu beschweren und dich ständig darüber zu ärgern, ohne, dass irgendwann der dringliche Wunsch aufkommt, in die Handlung zu kommen und endlich etwas daran zu ändern.
Das macht Sinn, nicht wahr?
Deine regelmäßigen Morgenseiten haben die Macht, dich aus deiner Verzweiflung heraus zu führen und hin zu Veränderungen, von denen du bisher nicht zu träumen gewagt hast. Ich finde also:
Es ist einen Versuch wert!
Ein möglicher Auszug aus den Morgenseiten könnte sein:
3. Februar 2023
Als ich eben in die Küche kam, habe ich mich wieder einmal extrem geärgert, weil mein Sohn gestern Abend den Thermomix nicht ausgespült hat. Die Reste des Proteinshakes kleben im Topf wie Kleister. So eine Sauerei. Warum kann er sich das bloß nicht angewöhnen? Wie oft habe ich ihm das schon gesagt! Ich bin viel zu gutmütig, immer bin ich diejenige, die jedem hinterherräumen muss. Nun habe ich keine Zeit mehr, meinen Morgensmoothie zu machen, weil ich ohnehin wieder zu spät dran bin. Aber auf meine Morgenseiten mag ich auch nicht verzichten, obwohl ich immer wieder in Versuchung gerate. Dann werde ich mir eben in der Kantine etwas holen. Dabei habe ich mir selbst hoch und heilig versprochen, gesünder zu essen und nicht immer diese Weckerl mit Wurst und Käse. Ich bin immer so undiszipliniert und halte nie etwas durch. Wie schaffen das andere bloß immer? Gott sei Dank ist erst Anfang des Monats und ich habe noch genug Geld. Und das Beste: der Frühling ist langsam in Sicht, die Tage werden wieder länger. Um Gottes Willen, ich habe ja die Weihnachtsdeko immer noch nicht weggeräumt. Dabei lechze ich nach dem Frühling. Vielleicht kaufe ich mir heute Blumen — einen Strauß Tulpen. Ich bräuchte auch unbedingt eine neue Jacke für den Frühling. Letzte Woche habe ich in dem neuen Geschäft eine richtig coole gesehen, in einer total schönen Farbe, ein ganz spezielles Grün. Ich glaube, die hole ich mir heute nach der Arbeit, bevor sie mir jemand wegschnappt. Ob mir das Grün schon steht? Ich bin doch immer so blass, weil ich viel zu selten an die frische Luft gehe. Ab morgen werde ich 3x in der Woche einen flotten Spaziergang machen. Aber wahrscheinlich halte ich das eh wieder nicht durch, ich kenn mich ja. Vielleicht sollte ich meinen Vorsatz auf 2x die Woche reduzieren .…
Wie du siehst, es hat alles seinen Platz:
Ärger, Zweifel, gute Vorsätze, Frühlingsgefühle, Shoppinggelüste .……
Ganz normale Gedanken einer Frau
Vielleicht startest du schon bald mit dem Experiment “Morgenseiten” und beginnst, die Landkarte in deinem Inneren zu lesen bzw. zu schreiben.
Also, ich war ehrlich gesagt immer eine sehr schlechte Kartenleserin. Als Beifahrerin war ich keine große Hilfe. Gott sei Dank leben wir im Zeitalter von Navi und Google-maps.
Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir von deinen Erfahrungen berichten würdest.